22. Oktober 2018

Schicksal, Karma, dumme Sau

Ich fahre so ziemlich gemütlich Richtung Altstadt. Kurz vor meinem Ziel müsste ich durch ein eher enges Gässchen. Fahren darf man da. Von weitem sehe ich, dass ein stadtbekanntes Original in das Gässlein einbiegt. Und ich denke mir, wie ist wohl seine Wahrnehmung? Seit Tagen studiere ich das Yoga Sutra von Patanjali.

Dieses Werk ist ein Leitfaden für Yoga und besteht aus 195 Sanskrit-Versen. In Vers 1.6. geht es um die fünf Aktivitäten des Geistes, unter anderem die richtige und die falsche Wahrnehmung. Ich und Yoga-Sutra fahren nun im Schritttempo ins Gässchen. Das Original hält sich schön rechts. Fast auf seiner Höhe setze ich zum Überholen an. In diesem Moment macht der Typ völlig aus dem Nichts einen scharfen Schritt nach links. Ich reisse an meinem Lenker, damit ich ja nicht in den reinfahre. Du und wumps, fall ich das erste Mal in meinem Leben mit dem Fahrrad auf die Fresse. Das heisst, es haut mich auf meine ganze linke Seite, das Fahrrad zwischen den Beinen. Der Typ dreht sich zu mir und schreit: „Du dumme Sau, du!“. Und ich: „Äh“. Er nochmals: „Du dumme Sau, du!“ Und nun kommt der Part auf den ich täglich stolz bin: Ich muss schallend lachen und rufe: „He, ich liege hier am Boden und habe mir weh getan. Nicht du!“. Er wieder: „Du dumme Sau!“ und geht weiter. Ich rapple mich hoch. Mein linker Oberschenkel brennt und schmerzt grausam. Sonst scheint alles dran zu sein. Als ich später zuhause bin realisiere ich, dass mein Oberschenkel immer blauer wird. Ich muss los, in meine Yogalehrer-Ausbildung. Heute zum Thema Hüftöffner. Na super! Meine Yoga-Lehrerin begrüsst mich mit: „Ach das ist ja schon interessant, dass ausgerechnet heute wo wir das Thema haben, du diesen Unfall hast.“ Ähä ich finds auch super interessant und habe von Stunde zu Stunde mehr Schmerzen. In der Nacht schwillt das Bein dann so an, dass ich am frühen Morgen in die Permanence gehe. Fazit: Ruhig stellen, Eis auflegen, nicht bewegen. Hühnerkacke! Ich hab Yoga-Modul. Ich handle dann mit der Ärztin aus, dass ich hin darf, wenn ich zuschaue und das Bein hochlagere. Dieser Tag ist schwierig. Ich hab mich auf Yoga gefreut und muss stillhalten. Dann höre ich natürlich so Sätze, was mir das Schicksal so sagen will oder eben wie interessant das sei oder eine Freundin, die fragt: „Was machst denn du immer!“ oder ob das ein karmisches Erlebnis war. Ja wenn einer das Schicksal trifft, frage es bitte, was es mir sagen will. Und liebe Freundin: Ich hatte noch nie einen Fahrradunfall und was tue ich denn immer?! Und Karma, fuck you. Ok ich lasse mich darauf ein, was interessant sein könnte. Zuerst bin ich frustriert. Dann werde ich richtig wütend. Und irgendwann, während die anderen voll lässe Übungen machen laufen mir dann die Tränen runter. Ja ok ist gut. Die Dinge so hinnehmen wie sie sind, daran muss ich arbeiten. Ich nehme Dinge nämlich nicht so hin wie sie sind. Ich steh für andere ein und wehre mich bei Ungerechtigkeiten. Aber eben, Dinge die ich grad nicht ändern kann, könnte ich ja einfach mal so stehen lassen. Stattdessen quäl ich mich durch Frust, Wut und Tränen. Am Ende des Tages sagt meine Lehrerin, dass ich am nächsten Tag nicht zu kommen brauche, da ich eh nicht mittun kann und Anatomie dran ist, die ich intus habe. Du ich sag euch, mir fällt eine Last von den Schultern und ich fühle mich plötzlich völlig befreit. Und interessant ist dann, dass ich mich ja selber hätte rausnehmen können. Dafür bin ich wohl viel zu pflichtbewusst und ehrgeizig. In der Nacht schlafe ich seit lange wieder mal acht Stunden durch. Den Tag verbringe ich bei schönstem Wetter im Liegestuhl. Das Bein hochgelagert, Krimi lesend. Seitdem sind zwei Wochen vergangen. Ich habe mittlerweile sexy Kompressionsleggins bekommen. Echt ekelhaft, wie die einengen, aber echt gut, dass ich weniger Schmerzen habe. Ich bin immer noch nicht voll cool damit, dass es wohl noch etwas dauert und meine sportlichen Aktivitäten sich auf spazieren reduzieren. An Yogaübungen ist noch nicht zu denken. Aber he, ich hab nun voll die krassen Atemübungen und Meditationen drauf. Die brauch ich auch. Und Mantra singen tu ich mittlerweile auch toll. Eben habe ich das Yoga-Sutra aufgeschlagen: Heyam duhkhamanâgatam –Wir sollten zukünftiges Leid im voraus erkennen und vermeiden. Ok, ich lese heute weiter… Das was mir in den letzten Tagen wirklich geholfen hat, ist die Erinnerung an den Satz: „Du dumme Sau, du!“ Jedes Mal, wenn ich Schmerzen habe, etwas nicht tun kann, an mir zweifle oder sonst etwas Negatives mich beschäftigt, rufe ich: „Du dumme Sau, du!“ Ich muss dann jedes Mal so laut lachen. Das hilft.

Kommentar schreiben